Er hatte sie in der amerikanischen Bibliothek am Halleschen Tor getroffen.
Jeden Morgen kam er mit der U-Bahn vom Kurfürstendamm her – wegen des kostenlosen Internets.
Ihr Weg war noch weiter: vom Rathaus Steglitz über Schöneberg bis Yorkstraße, dann bis Möckernbrücke, wo sie das dritte Mal umstieg, und von dort weiter bis Hallesches Tor fuhr.
Er erschien immer in Zivil, also ohne sein liturgisches Gewand, das er als Priester in der orthodoxen Kirche beim Rathaus Steglitz trug.
Mönch Bartholomäus war vor 42 Jahren in Athen zur Welt gekommen, seine Eltern, orthodoxe Albaner, stammten ursprünglich jedoch aus Berat.
Er sprach jenes Albanisch, das sich seit mehreren Jahrhunderten nicht weiterentwickelt hatte.
Als er ihr sagte, er könne ihr einen Job als Englischlehrerin für eine Gruppe Griechen, die regelmäßig den Gottesdienst in der Steglitzer Kirche besuchten, verschaffen, bei dem sie drei Mal pro Woche 50 Euro verdienen würde, wollte sie es nicht glauben.
Sie war erst seit drei Monaten in Berlin und hatte immer noch mit diesen widerlichen Behördengängen zu tun.
Gemeinsam mit drei anderen Frauen teilte sie sich eine Wohnung in der Schlossstraße, Ecke Albrechtstraße. Ging man von dort die Albrechtstraße hinunter, kam man direkt zur griechischen Kirche. Sie selbst war dort aber noch nie gewesen.
Sie hasste die Griechen.
Als sie sich beim Einwohneramt im Rathaus Steglitz anmeldete, hatte der Verwaltungsangestellte höflich gelächelt:
„Griechin sind Sie? Dann haben Sie ja genug Geld!“
„Ich war dort eine Ausländerin wie ich hier eine bin“, hatte sie entgegnet.
Für ihren griechischen Pass hatte sie den qualvollen Balkanesischen Weg gehen müssen.
Seit sie 17 war, hatte sie als Emigrantin aus Südalbanien in Athen gelebt, aber keinen Pass von those fucking Greeks erhalten, the Greek Gift war ihr während all dieser 13 Jahre verwehrt worden.
Als sie ihn dann endlich doch erhielt, konnte sie sich nicht einmal mehr freuen.
Sie war nur über die Möglichkeit froh, nach Norden gehen zu können.
Bloß nicht nach Süden.
Sie hasste den Süden, sie hasste den fettigen, schweißigen Gestank des Südens, die Siestas und den Müßiggang, die Fixierung der Männer aus dem Süden auf Analsex und die Überheblichkeit ihrer Frauen gegenüber Ausländerinnen.
Ja, sie waren reich, und sie hatten das Mehrfache von dem konsumiert, was ihnen zustand, und nun sollte jemand anderes ihre Rechnung begleichen.
Bei ihr hatte es sich immer so ergeben, dass sie ihre Rechnungen selbst beglich und manchmal dazu noch die Rechnungen anderer.
Sie war 30. Es war Zeit, an sich zu denken.
Vater Bartholomäus hatte sein Theologie-Studium in Moskau absolviert, Fachrichtung Russisches Patriarchat.
Durch den Dienst für Gott hatte er mit seinen 42 Jahren eine gesicherte Existenz, doch er hatte auch ein Problem – ihm blieb das Recht auf eine Familie verwehrt, sein heiliger Name
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