Julia ging langsam die Oranienburger Straße hinunter.
Sie hatte die Sandalen ausgezogen und spürte die von der Septembersonne aufgeheizten groben Platten des Bürgersteigs unter ihren Sohlen.
Am Tacheles stoppte sie für einen Moment. Die Szeneklubs waren leer, im Hof des Zapata saßen ein Dutzend Jugendliche auf den Bänken und tranken Bier.
Julia ging weiter in Richtung Hackescher Markt. Auf Höhe der Synagoge in der Oranienburger überquerte sie die Straße und betrat den Park.
Die Herbstsonne liebkoste das Gras, über das träge die Schatten der Bäume streiften.
Julia nahm ein paar Schluck aus der Mineralwasserflasche, dann verließ sie den Park und bog in die Hackeschen Höfe ein. Das Restaurant mit den Terrassen, auf denen man an Zweiertischen sitzend auf die durch Läden und Galerien streifenden Menschen schauen konnte, gab es nicht mehr. Jetzt wurde hier Konfektion der teuren Marken angeboten.
Sie verließ den Markt und ging zum Spreeufer hinunter.
Alle zehn Minuten luden die Schiffe neue Touristen auf. Sie setzte sich auf eine Bank und beobachtete die flußauf- und -abwärts fahrenden Motorboote.
Die Tische auf den Oberdecks standen voller Biergläser.
Julia ging über die Brücke vor dem Nationalmuseum, ließ zwanzig Cent in die Mütze eines jungen Geigers fallen, überquerte den Markt für Handarbeiten und blieb eine Weile an dem Tisch mit Damenhüten im Stil der Zwanziger (den von ihr am meisten geliebten Accecoires) stehen.
Vor der Humboldt-Uni blätterte sie in ein paar Antiquariatsbüchern, sie kaufte sich eine alte Tschechow-Ausgabe, ging weiter bis zur Kreuzung Unter den Linden / Friedrichstraße und bog in die Friedrichstraße ein. An der U-Bahnstation drehte sie sich plötzlich mit einem Ruck um und schaute zurück – sie sah vor sich das Gebäude des Tacheles mit der löchrigen Fassade, dem abgebröckelten Putz und dem vom gestrigen Regen noch feuchten Sand im Innenhof. Den Weg zurück nahm sie beinah im Laufschritt.
Zurück in Berlin.
Stefan ging inmitten der Demonstranten, die am Fernsehturm vorbei in Richtung Oranienburger Straße zogen.
Grüne Luftballons und schwarze Plakate mit roter Aufschrift Ja zu Cannabis! verliehen dem Zug von Tausenden Farbe.
Songs aus den 60-ern und 70-ern, Coverversionen der Hippies und der Aussteigergeneration, beschallten die Prozession und versuchten, die Zeit zurückzudrehen.
Stefan hob einen heruntergefallenen Plüsch Teddy auf, lief hinter der, ein paar Meter vor ihm gehenden jungen Mutter mit Kinderwagen her und gab ihr das Spielzeug.
Er hörte sie danken, drehte sich aber nicht um.
Immer weiter schob er sich in der langsam ziehenden Menge nach vorn.
Als er für einen Moment seinen Blick hob, leuchtete vor ihm das von der Sonne angestrahlte goldene Dach der Synagoge. Vor ihrem Eingang hatten sich Polizisten versammelt.
„Weiter, ein Stück noch“, trieb er sich an, und sah dabei kurz zur anderen Straßenseite hinüber.<
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